Gott wirkte ein wenig erschöpft. Sie hatte gerade den Großteil der Inder zwischen dem sechsten und dem achten Jahrhundert und zwölf Dynastien der Ägypter abgefertigt. Letztere waren etwas enttäuscht gewesen, den Weltenschöpfer mit dem Haupt und Geweih eines Hirsches vor sich zu sehen.
Die vatikanische Delegation hatte Gregor IX. zum Sprecher gewählt. Sie hatten zwar noch zweiundsiebzig andere Päpste dabei und mindest sechs weitere, die behaupteten, welche zu sein. Aber der gute Gregor hatte immerhin die Kreuzzüge initiiert und wies eine derartige Mischung aus Charisma, der Fähigkeit, in zwei Minuten ein Intrigennetz zu spinnen, und einer schrillen Stimme, die jeden Widerspruch erstickte, auf, daß er sich durchgesetzt hatte.
"Eure ...", begann der Papst und rang nach Worten. Wie sprach man seinen direkten Vorgesetzten an, wenn man selbst bereits Heiligkeit war?
"Gott", sagte die Neandertaler-Schamanin neben dem Fels mit dem Bärenfell, der als Thron fungierte, hilfreich. "Ganz einfach Gott. Und keine hebräischen Vornamen. Das schätzt sie nicht so sehr."
"Was haben wir da?" fragte Gott und spielte etwas geistesabwesend mit dem Bast an ihrem Geweihansatz.
"Abtrünnige vierten Ranges", sagte die Schamanin. Sie hatte einige Mühe, angesichts all der Schnitzzeichen auf den Bärenknochen vor ihr den Überblick zu behalten. Runenbürokratie. "Hauptsächlich die sogenannte katholische Linie."
Die zwei Arianer, die nach dem Konzil von Nikaia gebannt und hingerichtet worden waren, grinsten hoffnungsvoll. "Wir haben euch doch gesagt", flüsterte der Eine, "daß ihr nicht die auserkorene Hauptlinie beibehalten habt."
"Katholisch", gellte die Stimme Gregors. "Die Fülle der christlichen Wahrheit, über die ganze Erde verbreitet, unverändert, von der Gründung bis zum Ende der Zeit."
"Zumindest das haben wir ja endlich hinter uns", sagte Satan. "Das Ende der Zeit, meine ich." Er sah unglaublich attraktiv aus in seinem Designerfrack aus himmelblauem Kunststoff und den topmodischen interaktiven Buddha-Boots, die er lässig auf dem Rücken zweier Teufelinnen hochgelagert hatte. Er freute sich auf den wohlverdienten Urlaub nach über 12.000 Jahren und war richtig aufgekratzt.
"Christlich? Wer war Christus noch einmal?" fragte Gott, offensichtlich bemüht, sich wieder zu konzentrieren.
"Jesus", sagte die Schamanin.
"Aber sie wollten sie doch nicht haben und schickten sie gleich wieder zurück", meinte Gott sanft. "Warum berufen sich die Dritt- und Viertrangigen alle auf sie?"
"Unverändert, wie gesagt", erhob Gregor IX. nun wieder seine unangenehme Stimme. "Das war es, was wir glaubten. Ja, glauben mußten." Es war schon beeindruckend, wie schnell er die Verteidigungsstrategie neu ausgearbeitet hatte, nachdem die Delegation die Sache mit dem Cro Magnon aufgeschnappt hatte. Es kam ja Keiner aus dem großen Saal zurück. Aber draußen in der Wartehalle konnte man bisweilen, wenn die großen Türflügel für die nächste Gruppe geöffnet wurden, einige Worte verstehen.
"Wieso 'glauben mußten'?" sagte Gott. In ihrer Stimme lag nun eine gewisse Strenge. "Ich habe die Wörter 'glauben' und 'müssen' ja nun wirklich nie im Zusammenhang benützt. Das war Jahwe. Oder?" Die Frage war sichtlich an Satan gerichtet. In historischen und theologischen Fragen war er der einzige wirklich Beschlagene im Team. Satan hatte sich gerade eine Zigarre angezündet - eine berufsmäßige Provokation, die immer gut gewirkt hatte, seit die Tabakplantagen vor 200 Jahren gemeinsam mit den letzten Regenwaldweiden verdorrt waren. Inzwischen gab es zwar keine Technokraten, Plutokraten und Phallokraten mehr, die er durch sein Vorbild anstacheln konnte, aber er hatte sich während seines Jahrtausend wirklich an diese letzten Zigarren des Kontinentes gewöhnt.
"Ich glaube, es war Adonai", nuschelte Satan mit der Zigarre zwischen den Zähnen, während er auf dem Wristpad seine Mails checkte. Auch ein sinnlos gewordener Brauch. Da unten gab es kein Business mehr. "Aber Zebaoth hat schnell gleichgezogen. Jahwe kam dann auf die Idee mit dem Niederschreiben. Ich muß zugeben, ich habe auch unterschätzt, wie sehr uns das die Suppe versalzen würde ..."
Gregors neues junges Gesicht zeigte deutlich die Anspannung. Sein geschultes Gehirn ratterte. Ihm war angesichts seines Berufes natürlich immer klargewesen, daß die sogenannte Heilige Schrift nicht ganz aus einem Guß stammte - um es diplomatisch zu formulieren. Ihm war auch klar gewesen, daß bei all den Hin- und Herübersetzungen zwischen semitischen und indoeuropäischen Sprachen das eine oder andere Zitat etwas ins Unreine geraten sein mochte. Bis vor einer halben Stunde hatte er wenigstens noch hoffen können, sich als Ableger der Mosaischen Truppe darstellen zu können. Aber die waren ja ebenfalls als Abtrünnige vierten Ranges klassifiziert worden. Die Kelten hingegen hatten richtig Spaß gehabt drinnen. Und dann hatte sich herumgesprochen, daß die Eskimos in anderthalb Minuten fertig gewesen waren ...
"Wie hätten wir denn wissen sollen", rief er mit jener Stimme, die einhundertausend hungrige Rittersleute nach Jerusalem getrieben hatte, "daß die Gesetzestafeln nicht für uns bestimmt waren. Daß ... Wir ..." Gregor stammelte nicht, sondern sein Kiefer klappte einfach auf und nieder. Das mit Moses' Schizophrenie hatte ihn härter getroffen als er selbst erwartet hatte. In den ersten fünf Büchern standen all seine Lieblingszitate - außer Jesaja natürlich, aber der war ja anscheinend überhaupt nur ein Pseudonym für eine Clique homosexueller babylonisch-judäischer Kollaborateure.
Nun begannen drei Leos, zwei Klemens' und drei Urbans, allesamt gewohnt, bei größeren Anlässen das heilige und letzte Wort zu haben, durcheinander zu reden. "Konnte doch keiner ahnen ...", erklang es hier. "... all die Heiden, Verzeihung, nichtbekehrten Bewohner Afrikas und Australiens ...", fühlte sich dort Einer benachteiligt.
".... daß schon Zarathustra auf dem Irrweg ...", schnappte ein Honorius nach Luft.
"Vielleicht beruft ihr euch einmal auf andere Propheten", meinte Satan sarkastisch grinsend. Er hatte das Wristpad endgültig abgeschaltet und fragte sich, ob er wohl jemals aufhören würde, von Börsenkursen zu träumen. "Alle die ihr da anführt, sind so einheitlich ... männlich, findet ihr nicht?"
"Aber wir wußten das mit den großen Brüsten doch nicht", heulte nun einer der mittleren Benedikts auf, taumelte vor und fiel vor Gottes Thron auf die Knie. Autsch, das krachte auf dem harten Felsboden.
"Ich wußte doch nicht, daß 'macht euch untertan' und 'übernehmt Verantwortung' im Früh-Aramäischen die gleiche Bedeutung hat", plädierte Sylvester auf Verfahrensfehler.
"Die Gebärmutter ist doch überhaupt erst vierhundert Jahre nach meinem Tod entdeckt worden", versuchte es Bonifatius auf Unzurechnungsfähigkeit.
"Meine Mutter war eine Hure", beschloß Alexander Borgia seine Not zur Tugend zu machen. "Wie hätte ich denn mit diesem Vorbild ..."
"Olso bittä", meinte Wojtyla, "ich hobe ja fir die Frau als Zentrum der Fruchtbarkeit merr geton als jeder ondere." Selbst mit dem neuen Körper brachte er den polnischen Akzent einfach nicht weg. "Ohne meine Unermidlichkeit zuvor hätten wir die Bevelkerungsverluuste in den Reaktorjahren nach 2200 gar nicht iberstanden."
"Wir haben doch nicht gewußt ...", setzten nun drei Dutzend Sixti, Anastasii und Johanni an.
"Was heißt: von nichts gewußt?" hob nun Gott das Haupt und alleine der Schatten, den das Geweih an den Höhlenwänden warf, reichte aus, um alle Päpste zum Schweigen zu bringen. Außerdem hatte sie wirklich wunderschöne große Brüste. "Was ist mit den Kathedralen von Cro Magnon und Aurilliac? Den Tempelanlagen in der Sahara? Selbst die Abtrünnigen zweiten Ranges haben doch noch, wo immer möglich, eindeutig abgebildet, daß jeder Mann alles Fleisch, das seine Familie speist, selbst töten muß, und daß alles, was mit vermehren, sammeln und vergrößern zu tun hat, nur von runden Frauenleibern ausgeht."
"Ta - ta - ti - ta - MicroSony - A - O - L", intonierte Satan den Jingle seines letzten verbliebenen Konzerns. Seit er die UN-Kartellbehörde gekauft hatte, hatte jedes Kind diese Melodie schon in der Vorschulung implantiert bekommen. Ja, der Triumph patriarchaler Mammonpolitik war unübersehbar. Ein wenig frustriert war er schon, daß Gott so überhaupt kein Verständnis hatte für das, was er während der tausend Jahre seit der Erfindung der Dampfmaschine aufgebaut hatte. Er fragte sich, wie viele Jahrhunderte es dauern würde, bis er selbst all die wahnsinnigen Details wieder vergessen haben würde. Oh Frau, er freute sich wirklich schon darauf, wieder mit Gott in der Himmelshöhle zu sitzen und zuzusehen, wie sie Mammutfleisch zerteilte, das er heimgebracht hatte. Wieder mit eigenen Händen töten und nicht darauf warten, daß irgend einer von 600 Millionen Angestellten für ihn präparierte Eiweißketten vorportionierte: mit garantiert biologischen Erleuchtungshormonen. Herrlich würde das sein: mit den Nachbargöttern kämpfen, abends Gott ficken und ansonsten nur zusehen, wie sie den Kreislauf erhielt.
"... und was ist mit der Sphinx? Sehr viel deutlicher hätten es die Abtrünnigen ersten Ranges euch ja nun nicht mehr mitteilen können." Gott war beinahe etwas heftig geworden. Über die Sache mit Atlantis war sie wirklich traurig gewesen. Satan natürlich auch, obwohl er damit bewiesen hatte, was beide befürchtet hatten. Diese Species war einfach zu scharf auf Vorräte und zu wenig interessiert am Geschlechtsverkehr. "Nun gut", räumte Gott eben ein, "zugegeben, die Sphinx haben die Ägypter nachher beschlagnahmt. Es war wohl wirklich etwas schwierig für euch.
Aber was soll's. Machen wir langsam Schluß." Gott wandte sich an die Schamanin, die bereits die nächsten Bärenknochen zückte. "Die hier natürlich ab in die Hölle. Und von den ganzen drei Kontinenten nehmen wir überhaupt keine mehr nach den ... Wie heißen die mit der Stutenmilch und den hübschen Kesseln, Satan?"
"Das eine sind die Hunnen, das andere die Kelten. Das hieße dann eher: Schluß nach 400. Da wäre es aber schade um die Mongolen. Die sollten wir uns vielleicht noch ansehen. Aber ich schätze, es reicht dir ziemlich?" Seine Stimme klang sanft und fürsorglich, wie immer, wenn er mit Gott sprach, während er zugleich die Zigarre im Nacken einer der Teufelinnen ausdämpfte.
"Ja , Schatz", sagte Gott, "es reicht mir. Was für eine Verschwendung: die tausend Jahre bis Neo-Wicca, Cheyenne Unlimited und UniLight hätten wir uns wirklich sparen können."
"UniLight", lächelte Satan, "wäre ohne den Konkurs der katholischen Kirche nie gegründet worden, Liebling. Und die Hexenverbrennungen waren nötig ..."
"Fängst du schon wieder an?" seufzte sie und warf ihm einen liebevollen Blick zu. Mein Ich, dachte sie, war es lange her, daß sie ihre Meinungsverschiedenheit einfach unter dem Bärenfell ausgemacht hatten. Aber so war das, wenn man so viele Kinder in der Höhle hatte. Sie versuchte sich zu erinnern, wie sein beste Stück aussah, wenn er nicht 1.500 Jahre Industrie darüber trug.
"Ähem", räusperte sich Gregor IX. Allen anderen Päpsten war die Sprache weggeblieben - sogar Alexander Borgia, der fassungslos feststellte, daß selbst er sich zu wenig von seinen Testikeln leiten hatte lassen. "In die Hölle?" echote der unfehlbare Nervtöter. "Feuer und Schwefel für 50 Generationen von uns - nur weil wir mit dem Ackerbau begonnen haben?"
"Unfug", sagte Satan. Feuer und Schwefel! Das hätte gerade noch gefehlt, daß er sich darum hätte kümmern müssen. "Ihr bleibt schön auf der Erde - oder dem, was eure Kindeskinder bis heute, Anno Domini 2613, wie ihr es nennen würdet, davon übergelassen haben. Macht einfach weiter." Er sagte natürlich nicht dazu, daß MicroSony-AOL ohne ihn binnen Monaten zusammenbrechen würde. Wow, 12 Milliarden Arbeitslose plus die etwa 2 Milliarden Wiederauferstandenen, die weder Steuernummer noch Triple-Sechs-Credit-Implantat hatten - und kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, mit dieser Manpower wenigstens Südamerika wiederaufzuforsten.
"Und was geschieht mit den Erlösten?" fragte Gregor IX. mißtrauisch. Sein altes Problem: Neid. Er hatte schon damals vermutet, daß es den Fellachen in Jerusalem besser ging als ihm als Papst in der Engelsburg in Rom. Eigentlich hatte es ganze Europa vermutet ...
"Wir übersiedeln nach Alpha Centauri III", sagte Gott. In ihren Augen flackerte die ewig weibliche Lust am frühlingshaften Neueinrichten der Wohnhöhle. "Ich habe dort in den letzten 86 Millionen Jahren eine neue Rasse geschaffen. Auf der Basis der universellen Nacktschnecke übrigens. Jetzt, wo sie die Stufe des Selbstbewußtseins erreicht hat, brauche ich natürlich massenhaft Seelen der 22. Kategorie dafür. Und diesmal nehme ich nur erstklassige Ware. Deswegen die umständliche Selektion hier, bevor ich den Rest auf den Mist kippe. Wäre doch gelacht, wenn wir diesmal nicht eine stabile Biosphäre mit intelligenten Wesen und vielleicht sogar ein anständiges Nirwana zusammenbringen.
Nun ja. Übung macht den Meister. Ich bin auch noch nicht so lange in dem Gewerbe. Außerdem bin ich reichlich überarbeitet. Ich beginne schon, mich mit dem Ausschuß zu unterhalten. Schluß jetzt."
Satan schnippte mit den Fingern und der Werkschutz von MicroSony-AOL begann die Päpste mit gezückten Tasern zum Seitenausgang abzudrängen. Es gab tatsächlich einiges Heulen und Zähneknirschen, wenn die Elektroschocker auf päpstliches Fleisch trafen. Obwohl Satan natürlich, als er fairerweise die Prophezeiungen ausgestreut hatte, selbst noch keine Ahnung hatte, welch teuflische Verwüstungen die Erfindung der Elektrizität bringen würde. Oh Frau, dachte er, Heulen und Zähneknirschen war gar nichts verglichen mit den 666 Atomreaktoren, die in den nächsten 86 Millionen Jahren noch immer strahlen würden; noch über den nächsten Jüngsten Tag hinaus. Das gab dem Ausdruck "verdammt lange" wirklich eine neue Bedeutung.
"Wen haben wir als nächsten?" fragte Gott. Satan grinste zufrieden. Jetzt war sie wieder ganz die Frau, die er liebte.
"Scientology", sagte die Schamanin, "und ein halbes Dutzend Splittergruppen aus dem zweiundzwanzigsten Jahrhundert".
Gott stöhnte auf und schlug dann kokett die nackten Beine übereinander. "Nun gut, die gehen wenigstens schnell ..."
Satan zündete sich die nächste Zigarre an und erfreute sich am Anblick ihres gebärfreudigen Beckens. Wenn das so weiterging, kamen sie wirklich noch vor Ende des jüngsten Tages unters Bärenfell.